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«Es menschelt ungemein im Alten Testament»

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22.05.2017
Sonja Ammann ist mit 33 Jahren eine der jüngsten Theologieprofessorinnen der Schweiz. Seit Anfang April lehrt sie an der Universität Basel Altes Testament. Im Gespräch erklärt sie, was sie an den uralten Texten fasziniert.

War es ein Apfel oder doch eine Orange, in die Adam gebissen und damit die Vertreibung aus dem Paradies verursacht hat? «Eine Frucht war es», sagt Sonja Ammann, neue Professorin für Altes Testament in Basel. Dass wir bei der Frucht an einen Apfel denken, hat laut Ammann damit zu tun, dass wir oft feste Vorstellungen vom Alten Testament besitzen, diese aber nicht immer zutreffen. Vorstellungen, die beispielsweise durch die Kunst genährt werden, wo die Frucht konkretisiert wurde – als Apfel.

Sonja Ammann verlebte in Rorschacherberg im Kanton St.Gallen, oberhalb des Bodensees, ihre Jugendjahre – «in einer normalen reformierten Familie», wie sie es selbst beschreibt. Normal heisst hier, dass ihre Mutter in der Synode mitwirkte und Sonja Ammann den «Cevi» besuchte. Im Rahmen einer «Schnupperwoche» an der Schule entschloss sie sich, dem Pfarrer von Rorschach eine Woche lang über die Schulter zu schauen. «Die vielseitige Arbeit hat mich sehr beeindruckt», sagt Ammann. So sehr, dass sie sich dazu entschloss, Theologie zu studieren.

Uni statt Pfarramt

Der Beginn des Studiums war indes gleichzeitig der Anfang vom Ende ihres Wunsches, in den Pfarrberuf einzusteigen. «Mich faszinierte die wissenschaftliche Arbeit so sehr, dass ich
diesen Weg weiterverfolgen wollte. Die Uni ist mein Ort!» Das Alte Testament und die hebräische Sprache zogen die Studentin in ihren Bann. «Ich erkannte, dass sich in der Auseinandersetzung mit der Sprache das vermeintlich Festgefügte öffnete. Vorgefasste Bilder stellten sich als möglich heraus, aber nicht als einzige Möglichkeit.»

«Im Rahmen einer Schnupperwoche an der Schule entschloss sie sich, dem Pfarrer von Rorschach eine Woche lang über die Schulter zu schauen.»

Das Alte Testament werde wahrscheinlich von vielen als das Buch eines Gottes angesehen, der sein Volk anleite, führe, belohne oder bestrafe, erklärt Sonja Ammann. Das sei indes nur die halbe Wahrheit, denn im ersten Testament würden sich durchaus unterschiedliche Vorstellungen finden. Ammann nennt zwei Beispiele: «Im Buch Esther etwa kommt Gott gar nicht vor, im Predigerbuch (Kohelet) allenfalls am Rande. In Genesis / 1. Mose 18 bestimmt Gott nicht einfach alleine das Schicksal der Stadt Sodom. Er lässt mit sich reden: Abraham verhandelt mit ihm über die Zahl der Gerechten, um derentwillen die Stadt verschont bleiben soll. Er handelt Gott herunter!»

Noch komplexer werde das Bild, wenn man den historischen Kontext der alttestamentlichen Texte hinzunehme. «Vieles im antiken Israel entsprach wohl nicht den Vorstellungen, die man sich aufgrund der alttestamentlichen Texte macht.» So war die altisraelitische Kultur zum Beispiel keineswegs bilderlos. Die Professorin nennt das Bild vom «Herrn der Strausse», das für Juda sehr typisch gewesen sei. Auch hätten Ausgrabungen zahlreiche Terracotta-Frauen zutage gefördert, die nach Ansicht mancher Forscher Göttinnen darstellen. Figuren, die aber im Alten Testament an keiner Stelle Erwähnung finden.

Traditionen leben

Es macht Sonja Ammann Spass, unvoreingenommen an Texte heranzugehen, die zwar Zeugen einer langen Tradition sind, aber dennoch nicht in Stein gemeisselt. «Traditionen haben sich weiterentwickelt, auch in der Zeitspanne, in der das Alte Testament geschrieben wurde.» Deshalb ist es für Sonja Ammann klar, dass seine Interpretation nicht abgeschlossen ist, sondern sich aus der Perspektive jeder Zeitepoche erneuert. «Die Texte leben, sie sind nicht tote Buchstaben. Heute nicht und auch nicht in der Zukunft.»

Gerade in der Diskussion über schwierige Texte, die zum Beispiel frauenfeindliche Inhalte portieren, gehe es darum, den Interpretationsspielraum abzustecken. «Aber nicht so zu verdrehen, bis es mir passt», sagt Ammann bestimmt. Mit ihrer offenen Art, an die Texte heranzugehen, möchte sie den Studierenden die Angst nehmen, weist das Alte Testament doch zwischen «richtig» und «falsch» eine grosse Bandbreite auf. So wie das damalige und heutige Leben: «Es menschelt ungemein im Alten Testament.» Diese Vielfalt zu entdecken, macht für Sonja Ammann die Faszination an der Arbeit mit dem Alten Testament aus. Eine Frau, die mit ihren 33 Jahren so jung ist, dass sie sich von den Studierenden äusserlich nicht abhebt. Vielleicht ist dies ein nicht unerheblicher Vorteil, um jungen Menschen ein altes Buch in einer fremden Sprache und mit anderen Denkweisen näherzubringen.

 

Text: Franz Osswald/Kirchenbote BS Bild: Dominik Plüss  – Kirchenbote SG, Juni-Juli 2017

 

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